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BZ-Interview mit dem Radolfzeller Vogelexperten Wolfgang Fiedler

Dossier der Badischen Zeitung zum Thema Vogelgrippe v. 17.2.2006

Wie kam das Virus an die Ostsee?

Die an Vogelgrippe verendeten Schwäne von Rügen stellen die Fachleute vor ein Rätsel. Denn überwiegend sind Höckerschwäne betroffen, die keine Zugvögel sind, also nie direkten Kontakt mit den Seuchengebieten Asiens hatten. Die ebenfalls verendeten Singschwäne sind zwar klassische Zugvögel, aber sie können in jüngster Zeit nicht aus Vogelgripperegionen eingeflogen sein. Wie also kam das Virus an die Ostsee? Mit dem Biologen Wolfgang Fiedler, Leiter der Vogelwarte in Radolfzell, sprach Michael Heilemann.

BZ: Herr Fiedler, könnte es sein, dass das Virus H5N1 immer schon da war, ohne dass es jemandem aufgefallen ist? Wildvögel gelten ja als Reservoir für Grippeviren?

Fiedler: Das kann man ausschließen, denn dann wären schon früher Vögel erkrankt. Die Schwäne müssen das Virus irgendwo im Ostseeraum aufgegriffen haben. Die Frage ist nur, wann. Dass sie sich erst vor kurzem infiziert haben, kann man ausschließen. Denn auf Rügen sind noch keine Zugvögel, die das Virus mitgebracht haben könnten. Es spricht im Augenblick vieles für die These, dass sich die Schwäne bereits im vergangenen Herbst an Zugvögeln infiziert haben und das Virus bis jetzt in ihnen geschlummert hat. Möglicherweise kam die Krankheit nun zum Ausbruch, weil sie durch den harten Winter geschwächt waren.

BZ: Welche Arten könnten das Virus eingeschleppt haben?

Fiedler: In erster Linie Wasservögel, denn die Erreger werden ja offenbar besonders leicht über den Kot der Vögel, der ins Wasser gelangt, übertragen. Es kommen aber auch Aasfresser wie zum Beispiel Krähen oder Greifvögel in Frage, die ihrerseits verseuchtes Fleisch von verendeten Vögeln gefressen haben.

BZ: Kann es denn sein, dass das Virus auch bei uns in Süddeutschland schlummert, ohne dass wir es bemerkt haben?

Fiedler: Nach dem Muster, das wir jetzt auf Rügen beobachtet haben, würde ich das nicht mehr ausschließen.

BZ: Wo sehen Sie die Gefahr?

Fiedler: Am ehesten bei den Wasservögeln. Panik wäre aber fehl am Platz. Denn das Land Baden-Württemberg war ja nicht untätig. Am Bodensee, am Rhein und der Donau wurden seit dem vergangenen Herbst viele lebende Wasservögel virologisch untersucht. Kein einziges Tier war infiziert. Aber wie gesagt: Nach Rügen ist die Sicherheit, in der wir uns bislang gefühlt haben, dahin. Um sicher zu gehen, müsste man überall - auf Rügen und bei uns - verstärkt Schwäne und andere Wasservögel untersuchen.

BZ: Anfang März kommen die Zugvögel aus ihren Winterquartieren zurück. Besteht die Gefahr, dass sie das Virus mit nach Süddeutschland bringen?

Fiedler: Das hängt stark davon ab, wo es zu weiteren Ausbrüchen kommt. Die Gefahr ist sehr klein, was den Osten bis zur Türkei anbetrifft. Über die Ostroute kommen nur ganz wenige Arten zu uns, meistens Singvögel, die ohnehin keinen Kontakt zu infizierten Tieren haben. Etwas größer ist die Gefahr bei der Westroute, die über die Sahara und die Iberische Halbinsel verläuft. Aus Nigeria wurden ja Infektionen gemeldet. Sie scheinen zwar auf Hausgeflügel begrenzt zu sein, kritisch wird es allerdings, wenn sich dort auch Wildvögel anstecken.

BZ: Wie ist denn das Risiko, das vom Vogelzug ausgeht, generell zu bewerten? Das Virus kann ja auch durch illegale Geflügelimporte eingeschleppt werden.

Fiedler: Das Risiko durch Wildvögel sollte man nicht zu hoch gewichten. Es gibt genügend Beispiele von Vogelgrippefällen in Regionen, in die zu dieser Zeit keine Zugvögelströme geflossen sind. Und umgekehrt blieben Gebiete verschont, obwohl scharenweise Vögel aus Seuchengebieten durchgezogen sind.

BZ: Was sollten Spaziergänger oder Hobbyornithologen beachten?

Fiedler: Auf jeden Fall sollte man die Hände waschen, wenn man aus Versehen ein totes Tier angefasst hat. Was den normalen Umgang mit lebenden Wildvögeln anbetrifft, gibt es keinen Grund zur Sorge. Die Viren springen ja nicht auf den Menschen über. Man müsste schon intensivsten Kontakt haben, um sich anzustecken.

Quelle

Badische zeitung v. 17.2.2006